Laugavegur - Etappe 4

Es ist kalt im Zelt. Ich kann meinen Atem sehen. Er kondensiert am Innenzelt und gefriert. Die Temperaturen scheinen über Nacht deutlich unter die Null Grad Marke gefallen zu sein. Auch die Bänke, auf der kleinen Rasenfläche nicht weit vom Zelt, sind von einer Schicht Raureif bedeckt. Kati und ich suchen uns die Bank aus, die als einzige schon von der Sonne beschienen wird und frühstücken. Wenig später kommt das Mädel aus dem Nachbarzelt mit einer großen Plastiktüte und ihrem Gaskocher unter dem Arm und will sich auf eine Bank im Schatten setzen. Wir winken sie zu uns an den Tisch. Corinne kommt aus der Schweiz und ist allein unterwegs. Ihr Freund ist gerade in Indien unterwegs, um einen Film zu drehen. Sie hat darauf hin beschlossen nach Island zu fliegen, um zu wandern. Sie will auch jetzt nach Skógar, wo für sie der Trekkingurlaub zu Ende geht. Sie will sich mit ihrem Vater treffen, der sich spontan entschlossen hat, seiner Tochter hinterher zu reisen. Corinne weiß nicht, was sie die nächsten Tage erwarten wird, wirkt aber nicht unglücklich.

Wir frühstücken gemeinsam und packen dann unsere Sachen. Corinne ist deutlich schneller und bricht auf. Wir gehen noch duschen und hängen die Daunen zum Lüften und Trocknen in die Bäume. Etwa 1,5h später brechen auch wir auf. Wir folgen einem schmalen Trampelpfad, der parallel zu dem Flussbett verläuft, an dem wir schon am Vorabend entlanggelaufen waren. Nach etwa einem halben Kilometer erreichen wir die kleine Brücke, die wir auf der Karte schon gesehen haben und überqueren einen kleinen Bach. Direkt hinter dem Bach führt der Pfad durch Büsche und Bäume den Berg hinauf. Er ist schmal und teilweise etwas ausgesetzt, man hat aber immer wieder einen grandiosen Blick in die tiefe Schlucht, oberhalb derer wir immer weiter bergauf steigen. Um auf das verschneite Plateau zu gelangen, auf dem wir unsere Pause machen, müssen wir einen steilen verharschten Hang queren. Hier scheint es nicht viel außer Fels und Schnee zu geben, doch plötzlich bewegt sich etwas zwischen den Steinen: Schneehühner! Zwei Vögel rennen aufgeregt vor uns her, eine schöne Überraschung, hier auf Tiere zu treffen. Oben angekommen, kann man zum Mýrdalsjökull hinübersehen. Der Blick ist grandios, schwarze steile Berge ragen in die Höhe, zwischen ihnen tiefe Schluchten, in denen das Wasser der Flüsse glitzert. Durch die tief hängenden Wolken sieht man, dass der gesamte Gebirgszug von einer durchgehenden Eiskappe bedeckt ist. Man spürt die kalte Luft, die vom Gletscher hinunter weht.

Je weiter wir bergan gehen, desto weißer wird es um uns herum. Wir befinden uns jetzt auf einer geschlossenen Schneedecke zwischen dem Mýrdalsjökull und dem Eyjafjällajökull. Ein unvermittelt im Schnee stehendes Schild neben einem Hügel aus schwarzem Vulkansand verrät uns, wo wir uns genau befinden. Magni und Modi heißen die beiden Spalten, die 2010 einen Großteil des Flugverkehrs in Europa lahm legten als der Eyjafjällajökull ausbrach. Unsere Freundin Birgit strandete damals in Moskau und musste ewig am Flughafen bleiben, weil sie ihn ohne ein Visum nicht verlassen durfte. Wir stehen jetzt auf einem nicht besonders hohen Hügel und gucken auf ein wenig spektakuläres und, oder gerade weil, Schnee bedecktes Lavafeld hinunter. Das hier hat also die Ordnung unserer zivilen westlichen Welt so extrem gestört!? Hier wird einem erst bewusst, was wir doch für eine kleine Nummer sind, obwohl wir immer glauben, alles steuern und berechnen zu können. Aus einem kleinen Hügel kommt ein bisschen Lava und ein bisschen Asche raus und alles kommt zum Erliegen.

Irgendwo im Nirgendwo, ein Hinweischild

Nachdem wir uns, von einem italienischen Paar, vor dem Schild haben fotografieren lassen, stapfen wir weiter durch den Schnee. Die Spur, der wir folgen, macht einen großen Bogen um einen schneebedeckte Anhöhe. Hinter der Anhöhe liegt ein großer, hellblauer See im Eis. Ein krasser Anblick. Die Schutzhütte, die wir am frühen Nachmittag erreichen, liegt auf der 1100 Meter hohen Passhöhe Fimmvörðuskáli. Hier treffen wir Corinne wieder, die in eine Daunenjacke gehüllt, vor der Hütte sitzt und Mittag isst. Wir setzen uns zu ihr, packen unsere Hartweizenkekse und die Fischcremetuben aus und fangen an, uns mit ihr zu unterhalten. Nach unserer Mittagspause laufen wir gemeinsam weiter. Sie erzählt uns, dass sie gerade ihren Job bei Haglöfs gekündigt hat und dabei ist, sich als Bergführerin selbstständig zu machen. Ich finde das sehr spannend, nervt mich meine momentane berufliche Situation doch gerade sehr. Es klingt verlockend, sein Geld mit dem zu verdienen, was man gerne tut. Aber dann denke ich an die vergangen Tage zurück, an die vielen anderen Wanderer und wie sie mich gestört haben. Ich habe mir gewünscht mit Kati allein in dieser grandiosen Natur sein zu können. Aber wie passt das dann mit einem Beruf zusammen, in dem es darum geht, andere Menschen in die Natur zu führen? Außerdem, wenn man etwas dann plötzlich nicht mehr tut, weil man es will, sondern weil man es muss, ist das nicht dann wieder die selbe Situation in grün, nur mit frischer Luft? Gut, frische Luft wäre ja schon mal ein riesiger Schritt in die richtige Richtung, die vermisse ich in dem klimatisierten SZ Büroturm nämlich täglich.

Plötzlich kommt uns ein Typ mit einem vollbepackten Fahrrad entgegen. Er schiebt sein Surly Fatbike durch den Schnee. Besonders schnell ist das nicht und ich möchte nicht mit ihm tauschen. Ich habe aber irgendwie das Gefühl, dass ist so eine Aktion, die man darum macht, um erzählen zu können, man sei mit dem Fatbike über den Eyjafjällajökull gefahren, irgendwie konstruiert. Aber egal, jeder wie er es mag. Und diese Begegnung bleibt an diesem Tag auch nicht die sonderbarste. Je weiter wir uns von der Passhöhe entfernen und je dichter wir uns Skógar nähern, desto mehr Touristen, die ohne vernünftige Ausrüstung unterwegs sind, kommen uns entgegen. Nach den Asiaten in Turnschuhen, kommen uns Hippster in Wildleder Clarks mit aufgekrempelten, hautengen Karottenjeans entgegen. Sie tragen Schnurrbärte und Karohemden, um den Hals eine alte analoge Kamera. Sie fragen uns, ob man zum Gletscher gehen kann und wie weit es noch ist. Wir sagen ihnen, dass man natürlich grundsätzlich zum Gletscher gehen kann, wir kämen ja schließlich von dort. Es sei aber über zwei Stunden her ist, dass wir dort losgegangen sind und der Weg ging für uns auch bergab, es dürfte also zum Gletscher noch länger dauern. Man müsse aber auch wieder zurück und es sei schon 16:00. Ich füge dann noch ironisch hinzu, dass das ja sicher kein Problem sein sollte, da es ja Nachts nicht dunkel wird. Die beiden Schnuppiträger stimmen mir zu, bedanken sich und gehen in die Richtung, aus der wir gekommen sind. Ihr armen Irren, denke ich.

Die Menge der Wanderer nimmt von Minute zu Minute zu. Wir müssen uns also bald am Campingplatz befinden. Das finde ich sehr ok, denn wir sind schon wirklich lange unterwegs und ich habe mittlerweile einen ordentlichen Kohldampf. Kati und Corinne werden auch langsamer. Als wir am Wasserfall von Skógafoss ankommen, sind wir auch fast 30 Kilometer gelaufen. Die Szene in der wir dann unsere Zelte aufbauen ist aber wenig romantisch. Eigentlich handelt es sich bei dem Zeltplatz eher um einen großen Parkplatz. Tagsüber kommen hier im Minutentakt Busse an und laden, vorwiegend asiatische Touristen aus, die dann vor dem Wasserfall posierend, Fotos schießen. Uns haut der Wasserfall nicht weiter vom Hocker. Die Schluchten, Gletscher und Wasserfälle die wir, allein heute, schon gesehen haben relativieren diese Touristenattraktion. Ein großen Highlight hat der Platz allerdings doch: Direkt neben dem Parkplatz gibt es ein Burgerrestaurant. Kati braucht nicht lange, um Corinne zu überreden ihren Gaskocher im Rucksack zu lassen und uns zu begleiten.

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