Laugavegur - Etappe 1

Wir wachen am nächsten morgen früh um 5:00 auf, weil wir uns noch nicht an die Zeitumstellung und die ständige Helligkeit gewöhnt haben. Den Zeitvorsprung nutzen wir aber und packen sofort die Rucksäcke, um uns auf den Weg zu machen. Frühstücken werden wir später irgendwo, wo wir ungestört sind, irgendwo mit Ausblick und irgendwo ohne fünfzig andere Zelte.

Der Weg beginnt hinter den Hütten, direkt an den warmen Quellen, wo er an einer steilen Felswand hinauf führt. Wir müssen ein paar mal die Hände zur Hilfe nehmen, um uns die hohen Stufen hinauf zu ziehen. Es ist noch recht kalt, aber nach den ersten Höhenmetern mit den ungewohnt schweren Rucksäcken, wird uns schnell wärmer. Der große Zeltplatz ist nach kurzer Zeit außer Sichtweite und die Landschaft, von der wir am Vorabend schon einen kurzen Eindruck bekommen hatten, ist wirklich spektakulär. In der Morgensonne leuchten die Farben noch kräftiger. Wieder nur roter, gelber und schwarzer Sand, große Schneefelder und dieser Dampf der überall aus dem Boden aufsteigt. Die schwarzen Lavasteine, die wir aufheben, sind scharf wie Glasscherben.

Nach etwa 1,5 Stunden haben wir einen guten Frühstücksplatz gefunden. Ich koche uns einen Kaffee und Haferschleim. Zu Hause habe ich Rationspakete mit Haferflocken, Zucker und Milchpulver abgewogen und dann portionsweise abgefüllt und eingeschweißt. So muss ich nicht jeden Morgen aufs neue 250 kcal abschätzen und hoffen, dass der Vorrat noch für die eingeplante Zeit reicht. Ich kann so einfach einen Beutel aus dem Rucksack nehmen, zubereiten. Um herauszubekommen, für wie viele Tage die verbleibenden Rationen noch ausreichen, brauche ich nur die Beutel abzählen. Es kam sogar mir zuerst etwas spleenig vor aber es stellt sich als extrem praktisch heraus.

Wir haben unser Frühstück schon fast beendet, da sehen wir zwei Personen den Weg entlang wanken. Auf unserer Höhe angekommen, erkennen wir ein Pärchen, etwa in unserem Alter, die Rucksäcke mit weit nach vorne gebeugten Oberkörpern schleppend. Sie tragen nicht nur Gore-Tex Jacken, sondern auch Regenhosen. Mir wird schon bei dem bloßen Anblick heiß. Obwohl wir nur ein paar Meter vom Weg entfernt sitzen, schauen sie nicht zu uns hinüber, sondern setzen ihren Weg stur fort. Er vorne weg und sie etwa 10 Meter hinten dran. Ich denke: "Wenn ihr nicht richtig eingespielt seid und Du glaubst, deine Freundin sieben Tage so durch Island scheuchen zu können, dann war das euer letzter Urlaub." Ich bin froh, schon so viele Kilometer mit Kati gewandert zu sein. Wir kennen unser Tempo, wir wissen, was wir schaffen können und wir kennen den Rhythmus, in dem gegessen und getrunken werden muss, damit niemand einen Hungerast bekommt. Das haben wir in Norwegen, in Schweden und auch in den Alpen schon oft genug geübt. Die beiden verschwinden hinter der nächsten Kuppe. Erst er, einige Momente später dann auch sie.

Nach dem Frühstück führt uns der Weg vorerst immer weiter bergan. Die Schneefelder die wir überqueren müssen, werden merklich größer. Da es aber noch früh ist, ist der Schnee noch hart und man kann gut auf dem festen Harschdeckel laufen ohne einzubrechen. Mit voranschreitender Zeit und intensiverer Sonneneinstrahlung wird es aber schwieriger. Der Schnee wird jetzt feucht und schwer und man sinkt immer tiefer ein.

Das Ziel der ersten Etappe ist die Hütte von Höskuldsskáli. Wir erreichen sie schon vor dem Mittag, es ist gerade mal 11:00. Hier liegt der Schnee noch fast zwei Meter hoch und wir sehen, wie die Zelte in extra dafür ausgehobenen Gruben aufgeschlagen worden sind. Wir füllen nur kurz unsere Trinkflaschen auf und laufen weiter. Es kommt uns unattraktiv vor, hier im Schnee zu übernachten und darauf auch noch sechs bis acht Stunden warten zu müssen. Wir haben genug Zeit, um heute auch die zweite Etappe noch bewältigen zu können.

Der Weg führt uns weiter über große Schneefelder. Verlaufen können wir uns hier heute nicht, wir müssen nur den vielen Spuren folgen. Bei schlechter Sicht, etwa durch Schneefall oder Nebel könnte es hier allerdings wirklich schwierig werden. Unsere Wanderkarte hat einen Maßstab von 1:100000. In Norwegen waren wir ohne Probleme mit solch kleinen Maßstäben unterwegs gewesen, hier finde ich es allerdings etwas grenzwertig. Das Gelände ist alpiner und ausgesetzter als auf dem norwegischen Hochfjaell, wo man den ganzen Tag immer nur geradeaus laufen kann. Je höher wir kommen, desto grandioser wird der Blick über das gesamte Gebiet. Um uns herum stehen gelb leuchtende, kegelförmige Berge, die ganz offensichtlich vulkanischen Ursprungs sind. In der Ferne steigen große Dampfsäulen hoch in den blauen Himmel und überall schneebedeckte Berge. Es scheint hier nichts zu wachsen und auch Tiere habe ich schon länger nicht mehr gesehen. Dafür sehr viel sehr hohen Schnee und überall heiß aufsteigenden Dampf.

Ein paar Stunden später, wir befinden wir uns schon im Abstieg zum See Álftavatn, holen wir drei schwarze Gestalten ein. Ich erkenne die drei jungen Männer vom Vortag sofort wieder. Wir waren zusammen im Bus nach Landmannalaugur gefahren. Uns waren "die Kämpfer" sofort aufgefallen, weil sie große grüne Militärrucksäcke, schwarze Militärhosen und grüne Kopftücher trugen. Sie sahen aus, als würden sie an einem Einzelkämpferlehrgang oder einer anderen Durchschlageübung teilnehmen wollen. Besonders bemerkenswert jetzt die Zugriffshandschuhe, die alle drei tragen - bei der rauhen isländischen Natur sicher ein mehr als notwendiges Utensil. Sie hatten sich schon am Vorabend mit breitbeinigem und entschlossenem Gang auf den Weg gemacht. Wir beobachteten sie dabei und ich prophezeite, dass wir sie an einem der folgenden Tage wieder einholen würden. Dass es jetzt so schnell gehen würde, hatte ich aber nicht gedacht.

Beim Blick zurück ist noch die kleine Hütte von heute Mittag zu erkennen.

Um 16:00 erreichen wir, nach ungefähr 22km, den See Álftavatn. Hier befindet sich der Zeltplatz, der planmäßig Ziel der zweiten Etappe ist. Der Platz liegt direkt am Ufer des Sees. Vor den kleinen Hütten und dem Waschhaus stehen schon einige Zelte, es sind aber deutlich weniger als am Vortag und es ist auch nicht so wuselig. Nachdem wir einen Platz für unser Zelt - mit unverstelltem Seeblick - ausgesucht und uns eingerichtet haben, stellen wir uns in die Schlage vor dem Waschhaus. Der Himmel, der den ganzen Tag strahlend blau war, ist mittlerweile zugezogen und es weht ein recht kalter Wind um die Ecke der Hütte. Die Vorfreude auf eine heiße Dusche lässt uns aber ausharren.

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