Quer durch die Hardangervidda: Rentiere, Adler und ein Kilo Pasta.

Während der Planung hat mir die Durchquerung der Hardangervidda mit am meisten Kopfzerbrechen bereitet. Es war bis zum Schluss unklar gewesen, ob es möglich sein würde die Hochebene, mit dem großen Gletscher in der Mitte, ohne Skier zu durchqueren. Fast täglich hatte ich mir die Wetter- und Schneedaten angesehen. Ich hatte sie mit den Daten der Vorjahren verglichen und versucht, anhand der täglichen Veränderung der Schneehöhen, eine Vorhersage treffen zu können. Ich habe Blogs von Leuten gelesen, die ein oder zwei Wochen vor mir gestartet waren und ich hatte mit ihnen sogar Kontakt per SMS oder Instagram aufgenommen. Instagram ist dabei übrigens eine riesige Hilfe, weil man an aktuelle Bilder kommt und über die richtigen Hashtags auch an die interessanten Personen. Ich habe mindestens fünf verschiedene Kontakte hergestellt. Da sage noch jemand soziale Netzwerke seinen nicht sozial. Letztlich besprach ich mich dann aber auch nochmal mit Christoffer und wir verabredeten, dass ich erstmal die Strecke von Hovden bis Haukeliseter ohne Ski versuchen würde, um so eine Idee zu bekommen ob es klappen kann oder nicht. In Haukeliseter würde ich dann entscheiden ob Christoffer mir Skier und Stiefel mit dem Bus schicken soll oder nicht. Ich hätte dann einfach einen Ruhetag eingelegt und drauf gewartet, dass der Bus vorbeikommt und die Skier unten aus dem Gepäckfach gefischt.

Der Weg von Hovden bis Haukeliseter war quasi schneefrei. Es gab natürlich immer wieder Schneefelder aber die konnten alle gut zu Fuß gequert werden, alles kein Problem. Auch wenn der Schnee gegen Nachmittag weicher wurde, war es immer noch unproblematisch. Eher wäre das ständige An- und Abschnallen der Skier zur Nervenprobe geworden. Also entschied ich mich gegen Skier. Andi, der seine Routenwahl auch vom Schnee abhängig machen wollte, entschied sich ebenfalls dafür die Hardangervidda zu durchqueren. Wir waren also weiterhin #zweimuenchnerimfjell.




Schon aus der Ferne sieht man immer wieder den großen Gletscher. Es ist wahnsinnig imposant, wie sich, kilometerweit entfernt, die große, weiße Kuppe hinter den Gebirgszügen über alles erhebt. Für die nächsten Tage ist das unsere grobe Richtung. Wir nach Norden, dem Hardangerjokulen entgegen und dann kurz vorher, dran vorbei nach Osten.

Schon nach der ersten Kuppe wird klar, es liegt hier tatsächlich noch deutlich mehr Schnee als an den Tagen zuvor. Direkt hinter Haukeliseter steigen wir eine halbe Stunde auf, südseitig, darum ist es hier auch schon grün. Auf der anderen Seite liegt dann aber doch noch ein, zu großen Teil mit Schnee bedeckte Landschaft vor uns. Es ist keine Winterlandschaft mehr aber es gibt doch viele große Schneefelder, besonders an den Nordhängen und in schattigen Rinnen. Aber es gibt auch überall Fels- und Grasrücken auf denen man sich gut bewegen kann. Und auch der Schnee ist überwiegend so hart, dass man einfach drüber wandern kann.

Nach einigen Stunden trabt, nur etwa zweihundert Meter entfernt, eine Herde Rentiere an uns vorbei. Damit hatte ich so schnell nicht gerechnet. Als ich dann kurz darauf noch den schrillen Schrei eines Steinadlers höre und ihn auch noch direkt über uns kreisen sehe, ist es perfekt. Das ist jetzt die Wildnis, das Fjell, hier wollte ich hin. Richtige Wildnis ist die Hardangervidda natürlich eigentlich nicht. Es gibt hier ausgeschilderter Wanderwege und Hütten, die im Sommer zum Teil auch bewirtschaftet sind. Das ist aber der Knackpunkt: Im Sommer. Und jetzt ist noch kein Sommer. Jetzt ist einfach nur Anfang Juni und damit ist hier alles dicht. Es liegt eben doch noch zu viel Schnee für normales Wandern in den Bergen. Darum sind auch die Brücken noch nicht wieder aufgebaut. Das bedeutet für uns mehr als einmal am Tag, Rucksack ab, Stiefel und Strümpfe aus, dann eine geeignete Stelle finden und durch. Auf der anderen Seite, wieder den Rucksack absetzten, Strümpfe und Schuhe anziehen, Rucksack auf und weiter. Da auf den Seen, die die Flüsse speisen, häufig noch Eis schwimmt, ist das Wasser nicht nur im übertragenden Sinne eiskalt.


Es bleibt übrigens nicht bei der einen Rentierbegegnung. Wir bekommen noch drei weitere Herden zu sehen. Vielleicht war es auch jedes Mal die selbe, das kann ich natürlich nicht mit Bestimmtheit sagen.

Unsere Strecke führt uns an der Hütte Hellevassbu vorbei nach Litlos, hier wollen wir einen Ruhetag einlegen. Die letzten Tage waren allesamt lang und anstrengend und wir haben beide das Gefühl, dass die Motivation etwas nachlässt. Die eigentliche Hütte hat leider noch geschlossen aber es gibt abseits eine kleine Selbstversorgerhütte. Die ist zwar nicht superschön aber für einen Ruhetag völlig ausreichend. Mit einem Feuer im Ofen, vielen Keksen und viel Kaffee verbringen wir den Tag. Am späten Nachmittag bekommen wir dann sogar noch Besuch. Jørgen ist Norweger, Anfang zwanzig, braun gebrannt und strohblond und er kommt aus der Richtung in die wir wollen. Er ist im Winter mit Skieren und Pulka am nordöstlichsten Punkt Norwegens gestartet und vor ihm liegen jetzt nur noch die lächerlichen 350 Kilometer, die wir seid Lindesnes hinter uns gebracht haben. Wir kündigen für den Abend eine Pasta an und laden ihn dazu ein. Kaum ist Jørgen losgezogen um sein Zelt aufzubauen, sehen wir in der Ferne noch einen großen Rucksack, der sich der Hütte nähert. Der große Rucksack wird von Gerrit getragen, der aus Stuttgart kommt und eine Reise durch Norwegen macht. Gestern war er noch an der Trolltunga und jetzt ist er auf dem Weg in Richtung Oslo. Auch ihn laden wir mit ein. So sitzen später vier hungrige Wanderer um einen ein Kilo Nudeln mit Tomatensauce herum, futtern und quatschen und haben gemeinsam einen sehr netten Abend.

Am nächsten Tag schließt sich Gerrit uns an und gemeinsam reißen wir gute 26 Kilometer im Gelände runter. Er war vorher noch nie in so einer Umgebung unterwegs und ist „froh sich etwas von zwei alten Hasen abgucken zu können“. Andi und ich sehen uns zwar nicht als alte Hasen aber das eine oder andere können wir ihm tatsächlich zeigen. Zum Beispiel, das man beim Flüsse queren auch gut vorher die Schuhe ausziehen kann. (Entschuldige Gerrit, der musste jetzt raus. Es war super dich dabei gehabt zu haben, hat Spass gemacht! :D )



Nach einem sehr regnerischen Tag und einer genauso regnerischen Nacht sitzen wir heute hier in dem kleinen, gemütlichen Aufenthaltsraum einer Fjellstuga, direkt an der Strasse nach Geilo. Wir haben Kaffe, Waffeln, Eis und Cola und schreiben Tagebuch und Blog und laden sämtliche elektrischen Geräte auf. Die nassen Klamotten, die Schlafsäcke und Zelte hängen schon im Trockenraum. Um 19:00 ist „Dinner“, ich bin gespannt was es gibt.

Das war sie nun also, die Durchquerung der Hardangervidda die mir im Vorweg solche Sorgen gemacht hat. Der größte norwegische Nationalpark liegt hinter mir, alles ganz undramatisch. Ok, es war dramatisch schön aber die ganzen Sorgen waren unnötig, sich die Gedanken gemacht zu haben aber sicher nicht. Ich bin sehr froh es versucht zu haben und nicht über Straßen drumherum gegangen zu sein. Ich hätte so einiges verpasst.

Andis Texte findest Du hier..

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