Islands Norden - Etappe 1

Jon verlässt den kleinen Ort in Richtung Norden und fährt mit uns einen Schotterweg am Meer entlang. Er wird uns bis zum Ende der Strasse fahren, von wo aus unsere dritte und letzte Tour, hier in Island, starten soll. Die Strasse endet am letzten Haus des Ortes, dem Geburtshaus seiner Mutter, wie er uns erzählt. Er ist hier in Grenevik geboren und er ist sein ganzes Leben lang hier geblieben. Er erzählt uns, dass das Dorf seit vorgestern Nacht 287 Einwohner hat, ein Kind ist gerade in die Dorfgemeinschaft hinein geboren worden. Ich glaube, er kennt jeden einzelnen, was aber sicher auch daran liegt, dass ihm der einzige Supermarkt im Ort gehört. Dort haben wir ihn auch getroffen. Kati ist es wichtig gewesen, sich direkt vor Ort nach den Bedingungen der Tour zu erkundigen und jemandem Bescheid zu geben, dass wir beabsichtigen die Halbinsel zu umwandern. Nur für den Fall der Fälle, es kann ja immer was passieren. Jon kennt die Strecke und er gab uns einige Tips, während wir gemeinsam auf die Karte sahen. Er hat früher häufig Gruppen mit Islandpferden geführt und dann die selbe Route gewählt wie wir. Als wir uns verabschieden wollen, bietet er an, uns mit dem Wagen aus dem Ort und direkt zum Startpunkt zu fahren. Wir zieren uns ein bisschen, nehmen dann aber doch an und steigen in seinen Geländewagen.

Bis zum Nordpol ist nur noch Meer...

Bevor er in Richtung Norden aus dem Ort heraus fährt, macht Er noch einen kleinen Abstecher. Er fährt mit uns auf eine Anhöhe, die er uns unbedingt zeigen will. Der Weg hinauf ist so steil, dass ich damit rechne, sein Lexus würde sich jede Sekunde festfahren. Aber wir kommen heil oben an und es offenbart sich ein grandioser Blick über Grenevik und über den Fjord. Der Platz hier erinnert mich irgendwie an einen dieser Parkplätze, auf die man, nachts, in amerikanischen Filmen fährt, um auf die Lichter der Stadt zu gucken und dann im Auto zu knutschen. Jon sagt, von hier oben könnte man die besten Sonnenuntergänge und, mit etwas Glück, auch Polarlichter sehen.

Schafe beobachten uns

Als wir wenig später das Ende der Schotterstrasse und mit ihr den Startpunkt unserer Tour erreichen, wird Jon langsamer, hält an und sagt: "Das ist das Haus, hier lass ich euch raus.". Wir bedanken uns, springen aus dem Wagen und versprechen uns in spätestens vier Tagen zu melden, wenn wir wieder in der Zivilisation angekommen sind. Dann folgen wir dem Weg, immer entlang des Fjords. Einige Schafe beobachten uns, flüchten, laufen voraus und bleiben dann doch wieder stehen. Wir treiben sie eine Weile so vor uns her, bis sie irgendwann in den Hang abbiegen und aus unserem Sichtfeld verschwinden.

Es ist mittlerweile Mittag und wir hatten nur ein kleines Frühstück. Darum suchen wir uns nach einer guten Stunde einen Platz für unsere Mittagspause. An einem Felsen setzen wir uns in Gras und werfen den Kocher an. Während wir unsere heiße Linsensuppe essen, schauen wir nach Norden, über den Fjords und erwartungsvoll an der Steilküste entlang. Man kann das Ende des Fjord und dann den Horizont sehen. Hinter dem Horizont kommt vermutlich, bis zum Nordpol, einfach nichts mehr. Ich freue mich auf diese Tour. Sie wird landschaftlich nicht so extrem wie das Hochland oder der Laugavegur, aber sie wird einsamer werden. Hier oben verirrt sich kaum ein Wanderer her. Wenn man auf Island ist, will man ja Vulkane, Geysire und Gletscher sehen. Die Etappe die heute vor uns liegt ist recht lang. Wir wollen die Nothütte erreichen, die uns Jon so empfohlen hat. Sie steht offen und man kann sie einfach benutzen, es sei alles da und sie liegt wunderschön am Meer, hat er gesagt. Außerdem ist das Wetter für die nächsten Tage nicht so gut angesagt. Darum empfiehlt es sich, möglichst morgen früh schon über den ersten und zweiten Pass zu kommen. Der Weg soll nicht so leicht zu finden sein und im Nebel kann es dann unangenehm werden. Also beenden wir unsere Pause bald und brechen auf.

Der Weg führt uns den ganzen Tag oberhalb der Steilküste entlang. Wir schlagen uns durch dichtes, schulterhohes Gestrüpp. Würden wir nicht immer wieder auf vereinzelte Fussspuren und abgeknickte Zweige stossen, wir würden an der Richtigkeit des Weges zweifeln. Es geht ein kühler Wind von Norden, aber immer wenn man in eine windgeschützte Senke kommt oder der Wind kurz nachlässt, wird es warm. Immer wieder überqueren wir Bäche unterhalb oder oberhalb von Wasserfällen, die aus den Bergen herunter kommen und die Steilküste hinab ins Meer stürzen. Mal kann man sie so überqueren, mal muss man die Schuhe ausziehen, aber jedesmal ist es eine Gelegenheiten die Trinkflaschen aufzufüllen, die wir nutzen. Der Weg ist recht anstrengend und langsam fängt er an sich zu ziehen. Als wir gegen 19:00 Uhr in der Ferne das Dach der Hütte zu sehen glauben, sind wir extrem erleichtert.

Bis wir dann aber endlich die feuchte Wollgraswiese vor der Hütte erreichen, brauchen wir noch eine gute Stunde. Die Szene die uns jetzt erwartet, ist unglaublich kitschig. Die Sonne steht tief über dem Fjord, so dass die Hütte, die Wiese und das dahinterliegende Meer in ein warmes, goldenes Licht getaucht wird. Vor der Hütte grasen fünf Schwänen, die sich, als sie uns bemerken, schreiend in die Luft erheben und dann, direkt über unseren Köpfen, zwei weite Schleifen fliegen. Dann verschwinden sie in der Ferne, hören können wir sie aber noch einen Moment länger. Die Nothütte ist in Wirklichkeit eine hölzernes Sommerhaus mit Veranda. Es gibt 16 Schlafplätze, eine Küche und einem gemütlichen Aufenthaltsraum. Außerdem, zur Freude von Kati, den Luxus von fließendem Wasser und eines sauberen WCs. Wir betreten die Veranda, legen unsere Rucksäcke ab und setzten und auf die Bank. Wir schauen auf den Fjord hinaus und müssen ungläubig lachen. Einen komfortablen Rescueshelter haben wir da - ganz für uns allein.

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